Jeden Tag schreibe ich euch im Moment Horrorstories, sage, das und das war das schlimmste was ich je gesehen/gehört habe. Aber heute, so bin ich mir ziemlich sicher, war der Höhepunkt von allem und etwas, was ich wohl nur sehr schwer psychisch verarbeiten werde.
Wie ich euch berichtet habe, wurde ich heute morgen um 8 Uhr zum Verhör zur Gendarmerie geladen. Nur zur Erklärung: Die Gendamerie ist landesweit, die Polizei hier nur jeweils für die Städte. Wir waren pünktlich um acht da, die Gastmutter mit ihrem Anhang lies natürlich mehr als eine halbe Stunde auf sich warten. Als der Kommentar eines Soldaten dort war "Wir müssen ja nicht die Weißen mit ihrer Pünktlichkeit nachmachen" war mir klar, dass das alles andere als lustig wird.
Im Büro drinnen wurden wir alle von einem, ich nenne es mal Kommissar, verhört. Nachdem die Gastmutter ihre komplette Lügengechichte dargeboten, ich meine wirklich sachliche Beobachung während meiner Zeit in der Familie dargelegt und Irene leider sehr sehr sehr mangelhaft ihre Beschwerden offengelegt hatte, ging das wirklich unfassbare los. Wir, Lisa und vor allem ich, wurden angeschuldigt, das Kind entrissen, manipuliert und misshandelt zu haben. Selbst unser Koordinator Georges konnte nichts regeln, der Kommissar war völlig außer sich und - mit Verlaub - ein wahrer Rassist. Es heißt so oft, wir seien rassistisch gegenüber den Afrikanern, aber heute musste ich selbst erfahren und wirklich lernen, was ich nie als Gedanken klar formulieren wollte: Hier in Togo gibt es , eine absolute Mehrheit der Menschen, die die Weißen wirklich hassen. Wir wurden beleidigt, grundsätzlich nur als "Weiße" und niemals mit dem Namen angesprochen, uns wurde das Wort abgeschnitten und vorgeworfen, wir meinen wir seien was Besseres, könnten einfach in dieses Land kommen und uns verhalten wie wir wollten. Das Verhalten des Kommissars war so unnatürlich und übertrieben, dass es mehr als offensichtlich ist, dass die Gastmutter ihn geschmiert und wir damit mal wieder ein perfektes Beispiel für den Tumor dieses Landes haben: Korruption. Das Ganze endete darin, dass der Kommissar sagte, er wisse, wir verstecken etwas, sei es, dass ich Irene als Sklavin mit nach Europa nehmen will oder gar sie heiraten. Das muss man sich doch mal überlegen!!!!!!!!!!!!(Homosexualität ist hier per Gesetz verboten).
Man kommt hier her, verbringt 8 Monate seines Lebens um hier umsonst zu arbeiten und diesem Land zu helfen, anstatt in Deutschland gutes Geld zu verdienen oder zu studieren, und (nicht, dass je jemand Danke gesagt hätte, sondern als nur nach Geld oder Geschenken gefragt wird) der Dank ist, dass mir vorgeworfen wird ich wolle ein Kind misshandeln, welches ich vor dem sicheren Tod gerettet habe?! Wenn ich nicht zugebe, dass ich etwas derartiges vorhabe, werde er höchstpersönlich dafür sorgen, dass ich ins Gefängnis komme. Georges gerade mit dazu, da sie ihm vorwerfen, die bösen Weißen noch anzustacheln. Für ihn war auch klar, dass Irene entweder in die Gastfamilie zurück, oder mit ihrer völlig mittellosen und offensichtlich leidenden Mutter, nach Atakpamé muss. Damit auch zu einer Frau, von der bis jetzt keiner weiß in welchem Verhältnis zu Irene steht, da sie sie selbst nicht kannte, die heute dabei war, uns mit Abstand am meisten beleidigt hat und zu Irene meinte, sie sei ein schlechtes Kind und werde schon sehen, was ihr in Atakpamé blühen werde.
Letztendlich konnte der Kommissar durch zahlreiche Entschuldigungen für unser "unmögliches" Verhalten(NEIN, ich habe mich nicht entschuldigt!) beruhigt werden, und wir wurden "nur" zur nächst höheren Instanz geschickt. Das war der Moment, in dem ich, ungelogen, im Büro vor allem Leuten zusammengebrochen bin. Ich war, und bin, nervlich einfach am Ende. Ich war so bitter enttäuscht von Irene, da ich wirklich alles für sie gemacht habe, mich aufgeopfert und unendliche Risiken eingegangen, und sie uns dann dort hängen lässt, weil sie es nicht schafft zu reden. Ja, man sollte verstehen, dass das Mädchen völlig verstört und eingeschüchtert ist, aber wir haben ihr das so oft erklärt, dass wir nur dann Erfolg haben können. Draußen hat die Gastmutter schon einen Tanz aufgeführt und gesungen: "Wir haben gewonnen, wir haben gewonnen" All das ist Teil ihres Plans, um uns moralisch so zu entkräften, das wir aufgeben. Nicht mit mir, auch wenn ich kurz davor war, da es ohne Irenes Aussage wirklich nicht auszuschließen war, dass mir etwas Schlimmes zustoßen wird. Blanke Panik.
Unser gutes Glück war, dass ein guter Freund von mir namens Komi, den Chef der nächst höheren Instanz, gut kennt und wir damit gute Karten hatten, so traurig das ist, hier kommt man anscheinend nur so weiter. Er hat sich noch einmal alles in Kurzfassung angehört, jedoch wesentlich sachlicher reagiert und uns letztendlich ans Gericht geschickt. In der Zwischenzeit hat natürlich halb Kpalimé mitbekommen, dass aufgelöst weinende Weiße durch die Gegend laufen, glaubt mir, Kpalimé ist schlimmer als jedes Dorf, was Geschwätz angeht.
Der Staatsanwalt, mit dem wir am Gericht geredet haben, ist der einzige Grund, warum ich noch irgendeinen Glauben an die Menschenheit habe. Auch er hat sich erneut alles angehört, er hat Irene wieder reden lassen, die wieder völlig unmöglich ihre Aussage gemacht hat, anstatt zu sagen, dass sie zuhause geschlagen wurde und schwer krank war, redet sie von Gott und irgendwelchen Duschen - es war bizarr, aber das Mädchen ist einfach völlig unselbstständlich. Verständlicherweise! Bisher wurde sie ja nur unterdrückt. Nur haben die Afrikaner da nicht wirklich Verständnis für, weshalb man sie beinahe wieder vor den wichtigsten Aussagen abgesägt hätte. Der Staatsanwalt und sein Vertreter sind ehrliche Verfechter des Rechts. Das hat selbst die Gastmutter gemerkt und daher dort aufgegeben, und gesagt, sie möchte sich nur von aller Verantwortung befreit werden und auch Irenes Mutter selbst musste einsehen, dass sie ihr Kind nicht zwingen kann, mit nach Atakpamé zu gehen - nicht, dass sie die finanziellen Mittel dazu überhaupt hätte. Diese Frau tut mir unendlich leid, da sie, bis jetzt, vermutlich nichts versteht, völlig verwirrt und verängstigt ist und nur von der Gastmutter bequatscht wird.
Nun jedenfalls haben wir "gewonnen", wenn man die Worte dieser Frau benutzen will. Irene bleibt bis zu den Ferien im August in Kpalimé, wohnt ab nächster Woche mit einer anderen Schülerin zusammen und ich habe das "Verantwortungsrecht"(Es gibt kein wirkliches Wort dafür im Deutschen glaube ich, es ist sozusagen schwächer als das Sorgerecht) und das Ganze ist von der Justiz veranlasst worden, morgen geben wir noch zwei Briefe ab, von denen einer eine Anfrage für eine Art "Sicherheitsgarantie", sprich regelmäßige Besuche sowie einer einstweiligen Verfügung gegen die Gastfamilie, da wir nun wirklich um unsere Sicherheit besorgt sind. Mit dieser Frau ist nicht zu spaßen, ich traue ihr alles zu.
Letztendlich ist alles so gekommen, wie wir es wollten und dennoch sitze ich hier völlig aufgelöst und demoralisiert. Die Dinge, die mir heute an den Kopf geschmissen wurden, hätte ich mir in meinen schlimmsten Alpträumen nicht ausgemalt und dieser unfassbare Hass gegenüber den Weißen lässt es mir eiskalt den Rücken runterlaufen. Ja, unsere Vorfahren haben die Afrikaner misshandelt, aber das war lange vor mir und ich bin hier, um sozusagen davon was wiedergutzumachen. Es ist so traurig, dass die Menschen das hier nicht sehen. Viele zumindest, total rührend war, dass fast alles Frauen aus dem Viertel von der Gastfamilie an das Gericht kamen, da dort alle genau wissen, dass die Gastmutter wie der Teufel ist, sie kamen, um uns sozusagen zu unterstützen, oder andere Leute, die uns in der Straße gesehen haben und nach Erklärungen total fassungslos waren, wie man so reagieren kann, wenn jemand deinem Kind helfen will.
Trotz allem, momentan weiß ich nicht, ob ich bis Ende Mai hier bleiben will, da mich dieser Tag tief in meiner Seele verletzt hat und ich wirklich Angst habe, mich jetzt alleine in Kpalimé zu bewegen. Achso, Hass-SMS von Fabiola sind natürlich auch noch dabei.
Ich werde denke am Sonntag trotzdem nach Atakpamé fahren, Georges ist auch dort, um Irenes richtige Mutter noch einmal zu sehen und ihr alles genau zu erklären, den Brief, den ich ihr geschrieben hatte, hat man heute nicht vorgelesen. Das ist für mich das Schlimmste, diese Frau denkt die bösesten Sachen über mich, da man sie völlig manipuliert hat. Aber das werden wir am Sonntag hoffentlich richten können.
Hoffen wir einfach, dass dieser Spuk jetzt endgültig ein Ende hat und Irene einen neuen Lebensabschnitt beginnen kann.